Israel: Der Besuch – Die Begegnung

​12 Jahre waren vergangen vom ersten Gedanken bis zu dem Moment an dem wir einander die Hand schütteln durften: 15 junge Leute aus Israel, aus Rishon Le Zion, waren in Nürnberg gelandet und nach Gunzenhausen gekommen. Fünfzehn.

Irgendwie steigt in mir das Bild auf aus dem Nürnberger Dokuzentrum, das Bild der JU 52, in der Hitler über Nürnberg fliegt zu einem der verhängnisvollen Parteitage. Und nun 80 Jahre später waren junge Israelis hier gelandet in einem Flugzeug der SwissAir.

Welche wahnsinnige Geschichte liegt dazwischen. Sieben Jahre Verhängnis, Jahrzehnte großer Scham, gelähmten Hinschauens und allmählichen Aufarbeitens. Verstecktes oder offenes Bekennen; der Schuld.
Die Bitte um Vergebung. Die Suche nach einem Neuanfang. Für die jüdischen Menschen hat es einen Neuanfang gegeben. Im Mai 1948: die Gründung des Staates Israel. Menschen aus allen Ländern der Welt fanden und finden sich dort zusammen. Nach 1900 Jahren. Mein Freund ist Ibrahim Azar, Palästinenser, evangelischer Christ. Evangelisch heißt: den Wurzeln verpflichtet. Seine Familie hat den Neuanfang von der Seite der Dortgewesenen miterlebt. Sein Vater wollte Frieden leben im Miteinander in Jerusalem, im neuen Israel. Aber er ist untergegangen, im Hass der Landsleute und der Vergeltung Israels. Untergegangen, aber sein Zeichen ist geblieben. Sein Zeugnis für den Frieden, den Frieden Israels und seiner Menschen, den Frieden des Shabbats, den Frieden des „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen Seines Wohl- gefallens.“

Israel, der junge Staat, war immer wieder am Rande des Untergangs. Und konnte sich nur mit der Gewalt seiner Armee über Wasser halten. Es ist furchtbar, aber es ist so. Es ist nicht nur für die arabische Umgebung sondern vor allem auch für Israel furchtbar. Wieviel junge Menschen haben sie geopfert. Auch Ihnen wäre Frieden viel lieber. Immer wieder nach den Kriegen war Hoffnung da. Auf beiden Seiten. Aber die Hoffnung wurde vergiftet durch Hass, gesät und hineingeleitet von außen.

12 Jahre der Suche nach einem Weg waren vergangen bis die Gruppe aus Israel über Nürnberg in Gunzenhausen ankam. 12 Jahre, die durch Dickicht und Gestrüpp aus Vergangenheit und Gegenwart führten. Manchmal scheinbar undurchdringlich. Eine entscheidende kleine Tür  war überwuchert, kaum zu erkennen. Aber sie war die einzige Türe durch die Mauer der furchtbaren Geschichte, der einzige Weg zu einem Neuanfang, der einzige Durchgang: die Bitte um Vergebung.

Wir  konnten  sie a u s s p r e c he n. Nicht der Gruppe gegenüber, die uns besuchte. Aber gegenüber Nachfahren ehemals Gunzenhausener jüdischer Familien. Zwei  Personen in  Anwesenheit einer Gruppe von Zeugen. Es war ein sehr tiefgehendes Ereignis, erfüllt mit tiefer innerer Betroffenheit. Aber danach öffnete sich die kleine, kaum sichtbare Tür.

Warum eine so ausführliche Schilderung der Vorgeschichte?
Normalerweise gibt die Geschichte der Gegenwart ihr Gesicht. Ein solches Gesicht wäre entsetzlich. Die Geschichte der Gegenwart braucht den Kern des Heilwerdens. In Gunzenhausen wurde seit Mitte der 60er Jahre die jüdische Geschichte bis zur Schoa aufgearbeitet, ausgegraben. An der Stefanischule, durch Franz Müller und Emmi Hetzner. Da wurde der verwüstete Garten aufgeräumt und Raum geschaffen, einen neuen Baum zu pflanzen. Um diesen Baum geht es. Sein Setzling kam mit dem SwissAir – Flugzeug über Nürnberg nach Gunzenhausen. In Gestalt der Gruppe junger Leute aus Rishon Le Zion, Israel.

Die ersten beiden Tage übernachteten sie in der Jugendherberge. Tagsüber unterschiedliches Programm von Kennenlernen der Gastfamilien über Sport und Freizeit bis hin zum Besuch verschiedener Klassen in der Stefani – Schule. Besonders gut kamen die verschiedenen sportlichen Aktivitäten an. Am Nachmittag Basketball und Fußball in der Schulturnhalle. Mit Schülerinnen und Schülern, die zahlreich und freiwillig gekommen waren. Schwierig war für die Gäste, dass in den Klassenräumen die deutschen Schüler zwei, drei Jahre jünger waren wie sie. Auch, dass nur ein Junge unter den Gastgebern war. Die Gastfamilien waren gut vorbereitet worden und hatten Erfahrung in der Beherbergung von jugendlichen Gästen. Dennoch war das gute Miteinander kein Selbstläufer. Es hängt auch an den Persönlichkeiten und immer von zwei Seiten ab. Wer sich auf eine solche Begegnung einlässt, muss bereit sein zu geben und zu nehmen. Wenn Dinge anders kommen als erwartet, gibt es zwei Möglichkeiten zu reagieren: Die Situation annehmen und sich einbringen oder sich herausnehmen. Die Gäste reagierten in beide Richtungen.

Die israelischen Jugendlichen hätten den Dienst lieber und leichter nur mit ihren deutschen Gastgebern getan, mit bekannten, halbwegs vertrauten Menschen. Die Ehrerbietung den Verstorbenen gegenüber fehlte ihnen. Das war schwierig weil die deutsche Seite gerade diesen Einsatz als Herzstück gesehen hatte. Und natürlich: man kann weder sagen die Israelis noch die Deutschen. Denn es geht immer um einzelne, die jeweils ihre besondere Art an den Tag legten. Ein Unterschied allerdings war: Die Gäste waren im Ganzen einander viel tiefer verbunden als die Gastgeber. Und sie haben sich seit einem Jahr intensiv auf die Begegnung vorbereitet.

Wo es für sie ein Urlaub war gefiel es ihnen am besten. Herausfordernd sind die inhaltlichen Programmpunkte: Die Begegnung in der Schule, der Arbeitseinsatz auf dem jüdischen Friedhof und der Besuch des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Darauf müssten sowohl die aus Deutschland Beteiligten wie auch die Gäste aus Israel besser vorbereitet werden. Beim Arbeitseinsatz auf dem Friedhof waren zwei Klassen von Gunzenhausener Schulen beteiligt. Wir haben versäumt im Vorfeld zu erklären was wir jetzt machen. Die deutschen Schüler waren nicht wirklich vorbereitet: die Kleidung, die ehrerbietige Haltung waren im Vorfeld kein Thema. Eine Schriftlesung als Andacht wurde von den Israelis nicht als solche wahrgenommen und deswegen vermisst. Herr Polak, Friedhofsverantwortlicher der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern, hatte den Einsatz in Augenschein genommen und gelten lassen. Er war aus München zur Begrüßung auf den Friedhof gekommen und sah den Nutzen des Miteinanders von deutschen und israelischen Jugendlichen. Die Begegnung war so vielschichtig. Im Namen der Kultusgemeinde lud er die Jugendlichen dann sogar zum Imbiss im Freibad ein.

Vorbereitet in ihrer Jugendgruppe “ Junge Diplomaten „, die sich in Rishon le Zion regelmäßig trifft. Vorbereitet auf den Besuch. Der hat ein Innenleben. Durch ihn kann Neues beginnen. Abigail beschrieb es am Ende so: „Wir sind in Verbindung gekommen zu Leuten aus einem anderen Teil der Welt. Daraus kann eine Freundschaft für das ganze Leben wachsen. Wenn wir Versöhnungsarbeit tun – wie auf dem Friedhof – sollten wir sie zusammen mit unseren Gastgebern tun. Sie sind uns vertraut. Und der Friedhof, insbesondere die Gräber der Menschen dort, berühren den Bereich unseres Vertrauens.“ Und ein Junge – war es Yonatan oder Roy oder waren es beide – sagte: Die besten Momente der Woche waren die nicht so durchgeplanten. Auf jeden Fall war es für uns eine gute Zeit.“ Bürgermeister Karl-Heinz Fitz war oft zugegen, begleitete Programmeinheiten sooft er konnte. Sein Resümee: „Der Jugendaustausch war wichtig für diesmal und für die Zukunft. Ich bin dankbar, dass er gut war für euch.“ Und er dankte den Gastfamilien, dass sie ihre Häuser geöffnet haben. Dank auch an ihn, dass er Stadtjugendpfleger Helmar Zilcher mit der Anbahnung eines Jugendaustausches mit Israel beauftragt hat und darin die folgerichtige Fortführung der Arbeitsgruppe „Jüdisches Leben in Gunzenhausen “ sieht. Als eine Folge des Besuches nimmt die vielleicht ihre Arbeit wieder auf. Dem Stadtjugendpfleger Helmar Zilcher und seiner Partnerin Anne gebührt Dank für die Planung, Vorbereitung und Durchführung der Jugendbegegnung. Uns allen bleibt : es war Pionierarbeit und wir haben einen Ausgangspunkt von dem wir lernen und auf den wir auf bauen können. Gott sei Dank.

Matthias Knoch

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